Ephoralbericht von Superintendentin Christiane Nadjé-Wirth bei der Kirchenkreissynode

Nachricht Holzminden, 18. November 2022

Liebe Mitglieder der Kreissynode,
Heute ist Martinstag. Der Tag, an dem Martin Luther in Eisleben getauft wurde, einen Tag war er da alt. Weil es an diesem Tag war, trägt er seinen Vornamen. Der Martinstag ist bekanntlich der Tag, an dem an Martin von Tours erinnert wird. Der als römischer Soldat von dem armen Mann im Schnee so angerührt war, dass er seinen Mantel teilte und die Hälfte dem Bettler überließ. Einer, der das Kriegshandwerk gelernt hat, das kaum Mitleid kannte, wurde zum Wohltäter. Später wurde Martin Bischof. Ein Hirte seiner Gemeinde.
Der heilige Martin ist übrigens der erste Heilige der Geschichte des Christentums, der nicht als Märtyrer gestorben ist. Vielleicht kann man es so sagen: Der erste, der vor allem für sein Leben verehrt wird und nicht für seinen Tod. Martin ist durch sein diakonisches Handeln Vorbild. 
Kriegshandwerk, Armut, Kälte. Wer hätte vor einem Jahr gedacht, dass diese Worte heute nicht nur die uralte Legende von St. Martin beschreiben würden, sondern die Situation unserer Zeit. Der Krieg in der Ukraine, die steigenden Kosten überall, die Angst vor Gas- und Strommangellagen. Und wenn wir etwas weiter in die Welt schauen – und das sollten wir: die Not der Menschen in Ländern, die dringend auf Hilfslieferungen angewiesen wären, der Hunger in der Welt. Und immer noch Corona, wovon wir am liebsten gar nichts mehr hören würden, das aber gerade jetzt dennoch dafür sorgt, dass ständig Menschen mattgesetzt werden und wir wieder und wieder umplanen müssen. 
Und in und mit all dem wir hier. Die wir versuchen, Kirche zu sein. Gemeinde zu gestalten. In der Nachfolge Jesu. Ich danke Ihnen allen, die Sie das tun, die Ihre Zeit und Ihre Fantasie und Ihre Träume und Ihr Mitgefühl einbringen.


Sie haben als Tischvorlage die Anlage zu diesem Bericht vor sich liegen. Schon beim ersten Draufschauen drängt sich förmlich auf, was diese letzten Monate zu einer besonderen Herausforderung gemacht hat. Der Punkt Personalia ist länger als jemals, seitdem ich mich an solche Listen auf Synoden erinnern kann. Es war – und ist - eine Zeit mit Abbrüchen, Umbrüchen, Aufbrüchen. Wechsel, Wandlung, Abschieden, Neubeginn. Mit all dem, was solche Situationen mit sich bringen: Erschrecken, Trauer, Unsicherheit, Überforderungsgefühle bei den einen und Freude, Erleichterung, neue Motivation bei den anderen. Und mit Wissensverlusten. Unweigerlich. Aber auch mit neuen Impulsen. 

Die Liste beginnt – das ist schön – mit Ordinationen. In der Stadt Holzminden haben im Sommer vor einem Jahr drei Probedienstler begonnen, Sonja Hövelmann, Phillipp Sapora, Claudio Boning. Das Jahr davor waren allerdings durch die entsprechenden Vakanzen dieser Stellen anspruchsvoll für die Gemeinden. 
In den letzten Wochen konnten wir nun zum zweiten Mal drei Ordinationen feiern. In der Region Ost haben Juliane Borth, Madeleine Landré, Friedrich Uhlhorn ihre ersten Pfarrstellen angetreten. 
Wenn ich mit anderen Superintendenten spreche, dann sind die ganz neidisch. Dass wir in einer Zeit der Personalknappheit in kurzer Zeit so viele Probedienstler zugesprochen bekommen haben. Ich bin dafür der Landeskirche auch sehr dankbar. Es zeigt allerdings auch die Personalnot, mit der wir hier leben. 
So haben wir jetzt die – in der Landeskirche einzigartige Situation-, dass wir mehr Pastorinnen und Pastoren im Probedienst haben als „alte Hasen und Häsinnen“, da Pastor Scheffler und Pastor Lückel auch noch zu dieser Gruppe gehören. Das ist natürlich ein positives Zeichen, fordert allerdings auch einen besonderen Blick auf die Generationenfrage. Vieles wird auf den Prüfstand zu stellen sein. Ein „so wie üblich“, was ja auch Sicherheit geschaffen ist, ist noch einmal neu zu denken. Ich bitte da um Aufgeschlossenheit auf allen Seiten. 
Andere sind zwar schon länger im Dienst, aber müssen sich jetzt auch auf neue Gemeindesituationen einstellen wie Annabelle Kattner und Bertha Bolte-Wittchen, die uns beide im Kirchenkreis erhalten bleiben, was mich sehr freut, aber an anderer Stelle jetzt neu gestartet sind.
Abschied mussten wir nehmen von Stefan Melcher, von Corinna Engelmann und Peter Dortmund. Sie fehlen nicht nur in ihren Gemeinden, sondern auch an den verschiedenen Stellen im Kirchenkreis, an denen sie mit großem Einsatz gemeinschaftliche Aufgaben übernommen haben. Synode, Stellenplanung, Kita-Verband, Religionspädagogik, Stellvertretung Superintendentur.

Wir kommen aus Zeiten, in der Pastoren und irgendwann dann auch Pastorinnen oft für Kirche und Gemeinde an sich standen. Seit einiger Zeit wird uns in der Kirche zum Glück bewusster, dass Kirche und Gemeinde viele verschiedene Gaben und Talente hat und braucht. Und auch verschiedene Professionen. 
Wir haben es uns zum Ziel gesetzt, multiprofessioneller zu denken und zu werden. Und so ist es eine große Freude, dass wir zwei Diakoninnen einsegnen konnten im vergangenen Jahr, Julia Pravemann und Christine Dörrie. Und wir haben es mit einem Konzept und viel Geduld und Beratungen auch geschafft, dafür zu sorgen, dass sie in den nächsten Jahren hier weiterbeschäftigt werden können. Damit verbunden ist ein Plan zur Stärkung der Kinder- und Jugendarbeit in den drei Regionen. Jeweils ein Diakon oder eine Diakonin wird Teil des Teams der Hauptamtlichen in der Region sein.  
Ebenso haben wir geschafft, dass wir im Bereich der Kirchenmusik in den nächsten Jahren weiter mit zwei hauptamtlichen Kirchenmusikerinnen, Christiane Klein und Nana Sugimoto gut aufgestellt sind. Musik berührt Seelen und ist für unsere Verkündigung ein unverzichtbares Mittel und stärkt unsere Gemeinschaft. Musik übrigens in den verschiedensten Klangfarben. Da geschieht in den Kirchengemeinden so viel. Davon habe ich mich auch bei den drei Visitationen in Luther Holzminden, in Amelungsborn und in Eschershausen/Dielmissen/Vorwohle begeistern lassen. 

Unverzichtbar für uns als Kirche ist daneben auch die ganz praktische Hilfe für Menschen in Not. Heute am Martinstag lassen wir uns das noch einmal wieder besonders ins Stammbuch schreiben. Praktische Hilfe, Dasein für die Menschen, heißt in der evangelischen Kirche Diakonie. Die übrigens überall da stattfinden kann und soll, wo uns die Not nicht unberührt lässt. Ich habe auch in den Visitationen erleben können, dass in den Kirchengemeinden ein großes diakonisches Herz schlägt. 
Dazu muss aber die professionelle diakonische Arbeit kommen. Für vieles braucht es eben Fachleute mit ihrer Kompetenz.  Wir haben uns dazu entschlossen, die Stellen im Diakonischen Werk für Flüchtlings- und Migrationsberatung weiterhin zu halten und aufzustocken, so dass alle drei, die dort tätig sind, Ulrike Walkling als Kirchenkreissozialarbeiterin und Gülseren Aybay in der Migrationsberatung und Abdulkadir Yildiz in der Flüchtlingsberatung mit jeweils voller Stelle ausgestattet sein sollen. Es muss aber auch angemerkt werden, dass sie damit dennoch nur Tropfen auf den heißen Stein sein können, was die Menge der Notlagen angeht, mit denen sie tagtäglich konfrontiert werden. 

An dieser Stelle bitte ich alle Gemeinden noch einmal eindringlich um Beiträge aus den Diakoniekassen für den Diakoniefonds des Kirchenkreises, den Kinder- und Jugendhilfe-Notfonds Chairity oder für die Weihnachtswunschengel-Aktion, die in diesem Jahr wieder Kindern aus sozial belasteten Familien eine kleine Freude machen soll. 
Und schließlich haben wir Regine Koch aus der Amtsleitung des Kirchenamtes verabschiedet und Robert Kurz als ihren Nachfolger eingeführt. Auch ein solcher Wechsel ist eine große Herausforderung. Gerade in Zeiten, in denen unsere Verwaltung durch viele neue Aufgaben, die zu übernehmen und zu bewältigen sind, gebeutelt ist. Sie in den Kirchengemeinden sitzen da auch auf heißen Kohlen und brauchen Informationen, Daten. Über die Finanzsituation der Gemeinde, über die Verfahren anlässlich der Umsatzsteuereinführung. Sie brauchen Amtshilfe bei Vorhaben und Plänen. Und mancherorts liegen die Nerven blank. Es tröstet da vielleicht nicht, aber zumindest macht es den Rahmen noch einmal deutlich: In vielen anderen Ämtern in der Landeskirche steht man vor den gleichen Problemen, die sind nicht einfach hausgemacht. Und es gibt leider nicht den Zauberknopf, mit dem, dass alles schnell behoben werden kann. Aber die Mitarbeitenden im Amt arbeiten mit Feuereifer daran, dass zumindest terminlich gebundene Aufgaben wie die Umsatzsteuer zuverlässig laufen werden.
An fast keiner Stelle im Kirchenkreis ruhiges Fahrwasser. Und das ist anstrengend. Und es kostet an mancher Stelle gerade alle Kraft, auf Kurs zu bleiben. Trotzdem haben wir es auch gemeinsam geschafft, einen Stellenplan und Handlungskonzepte für die Jahre 2023-2028 zu verabschieden. Die Arbeit daran in den verschiedenen Ausschüssen und Arbeitsgruppen war umfangreich und aufwändig, aber es ist gelungen. 
Und wir wissen ja auch: es stehen weitere Aufgaben vor uns. Wir werden uns mit dem Thema Klimaneutralität, Energie für unsere Gebäude und Flächen beschäftigen müssen. Wir werden uns mit dem Thema Prävention sexualisierter Gewalt in der Kirche beschäftigen müssen. Die Themen: demographischer Wandel, Armut, Zusammenhalt der Gesellschaft stellen uns vor Herausforderungen.  Dazu kommt das Schwinden der Selbstverständlichkeit, dass die Kirche eine wichtige Rolle in der Gesellschaft spielen könnte.

In solchen Zeiten tut es gut und ist es wichtig, dass wir aber auch sehen, wo etwas schon wächst. Wir brauchen offene Augen für Hoffnungslichter. Vielleicht wirken sie erstmal unspektakulär, aber in ihnen steckt Energie.  Fünf solcher Hoffnungslichter habe ich für mich gefunden.

Hoffnungslicht 1:
Das Engagement für Geflüchtete; Nach dem Schock des Kriegsbeginns in der Ukraine haben Gemeinden und Einzelne sich sofort eingebracht, haben Wohnraum gestellt oder besorgt, haben Menschen begleitet, ihnen zugehört, mit ihnen Ostern gefeiert und sie in die Dorfgemeinschaft integriert. Das ist natürlich punktuell und lindert nicht alle Not und natürlich dürfen auch die nicht vergessen werden, die schon länger und aus anderen Ländern hier bei uns Zuflucht suchen. Aber dennoch stärkt es meine Hoffnung, dass es Gastfreundschaft unter uns gibt. 

Hoffnungslicht 2:
Dass sich Menschen für einen verlässlichen, anspruchsvollen ehrenamtlichen Dienst in der Kirche ausbilden lassen.  Wir können das durchgehende Bereitschaftssystem in der Notfallseelsorge nur aufrecht erhalten, weil auch Ehrenamtliche bereit sind, sich dazu intensiv ausbilden zu lassen. In diesem Kreis wird das, was Dienstgemeinschaft sein kann, wirklich miteinander gelebt.
Und dazu kommt, dass sich in diesem Jahr in zwei verschiedenen Lektorenkursen, die jeweils über mehrere Wochenenden laufen, die Bertha Bolte-Wittchen angeboten hat, 10 Ehrenamtliche auf den Weg des Verkündigungsdienstes begeben haben. Das ist wundervoll und ein großer Schatz. 

Hoffnungslicht 3:
Dass es sowohl in der Evangelischen Jugend als auch in der Jugendarbeit in Gemeinden so tolle lebendige, engagierte, kritische junge Menschen gibt, die Kirche gestalten. Ihnen müssen wir den Entfaltungsraum geben für ihre Fragen, Ideen, Aktionen. Und uns auch davon inspirieren lassen.  
 

Hoffnungslicht 4:
Die Kantoreien aus Holzminden und aus Bodenwerder proben gemeinsam für das Weihnachtsoratorium, das am zweiten Adventswochenende zweimal aufgeführt wird. Sie haben sich zusammengetan, weil für beide alleine ein solches Werk nicht leistbar wäre. Das ist nicht nur im Bereich der Kirchenmusik zukunftsweisend. An manchen Stellen ist es gut und wichtig, die üblichen Grenzen zu überschreiten, damit man miteinander etwas Größeres schaffen kann, was Einzelne nicht schaffen würden. 

Und mein 5. und ganz besonderes Hoffnungslicht ist eines, das mich besonders berührt.
Dass sich im vergangenen Jahr eine ganz kleine jüdische Gemeinde neu gegründet hat, die jetzt auslotet, wie sie gemeinsam ihren Glauben leben. Sie haben nicht den Hintergrund der Institution, sie haben keine Zuweisungen, keine Gebäude, die sie nutzen und verwalten können oder müssen. Und sie trauen sich, sich zu zeigen trotz der Geschichte der Verfolgung in unserem Land und trotz des auch jetzt wieder zunehmendem Anti-Semitismus. Ich freue mich über die Kontakte, die wir schon haben knüpfen können. Ich freue mich über Kooperationen wie dem morgigen Konzert in der Lutherkirche. Möge der Glaube, der Zusammenhalt und der Mut unserer jüdischen Schwestern und Brüder auch uns inspirieren, unseren Glauben fröhlich und getrost zu leben.
Im gemeinsamen Wissen darum, dass unsere menschlichen Werke, Pläne, Erfolge, aber auch die Misserfolge und das Scheitern immer nur Stückwerk sind. Das Vollkommene wird sich Bahn machen, dafür sorgt unser Gott. 

Bildrechte: 
Seite 1: Martin von Tours. Foto: epd-bild/akg-images/Rabatti-Domingie
Seite 2: Die drei Neuen in der Ostregion. Foto: Gunnar Müller
Seite 3: Einsegnung von Christine Dörrie zur Diakonin mit Jugendlichen. Foto: Luisa Möhlmann
Seite 4: Weihnachtswunschengelpakete im Diakonischen Werk Holzminden 2020. Foto: DW Holzminden
Seite 5: Ökumenischer Ostergottesdienst mit Ukrainischen Flüchtlingen. Foto: Dierk Stelter
Seite 6: Weihnachtsglasfenster aus der Lutherkirche Holzminden. Foto: Kantorei Holzminden

Superintendentin Christiane Nadjé-Wirth