Hinter Gerüst und weißer Kunststoffplane ist das rotbraune Gemäuer aus Weser-Buntsandstein verschwunden, jedenfalls im Osten und an der Nordseite. „Ein bisschen erinnert unsere eingerüstete Klosterkirche an den verhüllten Reichstag“, schmunzelt eine Nachbarin. Auch der aktuelle Gemeindebrief der Kirchengemeinde nimmt Bezug zum international beachteten Kunstprojekt des Sommers 1995. „Es scheint, als sei der verstorbene Christo wieder am Werk gewesen.“ Augenzwinkernd ist diese Bemerkung natürlich gemeint. Denn hinter Gerüsten und Kunststoffbahnen werden in den nächsten Monaten Handwerker vielerlei Gewerke im Einsatz sein, um Schäden am geschichtsträchtigen Bauwerk zu beheben, die Wind, Wetter und insbesondere dem unerbittlichen Zahn der Zeit geschuldet sind. Vor allem geht es um die Sanierung des Mauerwerks, um Sichtung und gegebenenfalls Austausch beschädigter Sandsteinplatten auf dem Dach. Gerüste stehen auch im Innern im Bereich der Apsis und des Chorraumes. Hier sind Arbeiten am Gemäuer auszuführen, nachdem Putzrisse auf- und Feuchtigkeit eingetreten sind. Außerdem wird in den farbigen Fenstern hinter dem Altar kaputtes Glas ausgetauscht, muss die Bleiverglasung ausgebessert werden. „Für uns als Ortskirche ist es ein großes Glück, dass in diesen Zeiten Mittel für eine so umfangreiche Sanierung zur Verfügung gestellt werden“, sagt Andreas Säger.
Er ist Vorsitzender des Kirchenvorstandes der Kirchengemeinde Bodenwerder/Kemnade und Mitglied des Finanz- und Planungsausschusses — und in diesen Funktionen stark involviert in Themen wie knappe Finanzressourcen und Zukunft von kirchlichen Gebäuden. Maßnahmenträger der Sanierung in St. Marien Kemnade ist die Landeskirche Hannover, die Arbeiten werden koordiniert und überwacht vom Amt für Bau- und Denkmalpflege der Landeskirche. Etwa mit einer Dreiviertelmillion Euro sind die Kosten des Projektes veranschlagt, der Kirchenkreis Holzminden-Bodenwerder gibt rund 75 000 Euro dazu. Einen Großteil der Arbeiten übernehmen Firmen mit Restauratoren-Qualifikation, bei kleineren Gewerken — beispielsweise Elektro, Tischler — seien, so Säger, auch regionale Handwerksbetriebe beteiligt.
Mit dem Aufbau der Außengerüste fiel Mitte Oktober der Startschuss für die Sanierung. Ihre Saison konnten die Gastgeber des Fördervereins Klosterkirche — sie gewährleisten die tägliche Öffnung der Pilgerkirche für einige Stunden — planmäßig am Reformationstag beenden. Innen übernahmen die Handwerker Anfang November die Regie. Nicht nur außen, auch im Innern der Klosterkirche ist inzwischen nahezu alles mit Vlies, Plastik und meterweise Klebeband „verpackt“: die Orgel, der frühromanische Taufstein, die wertvollen Grabplatten, der Sarkophag des Siegfried von Homburg und kunsthistorische Kostbarkeiten wie eine Pieta und die Figur Christus im Elend. Neben dem Flügelaltar umbauten die Tischler auch die Strahlenkranzmadonna zu ihrem Schutz mit einer Holzkiste. Filzplatten bedecken den Sandsteinfußboden, lange durchsichtige Plastikbahnen schützen Kirchenbänke samt Polster.
Wie lange wird die Sanierung dauern? „Das ist eine spannende Frage“, kommentiert Andreas Säger schmunzelnd. Den Abschluss plane die Landeskirche für Spätfrühjahr oder Frühsommer 2026. „Wir haben die Zusicherung, dass wir zum Sommerkonzert im Juni in unsere Klosterkirche einladen können.“ Glücklicherweise verfüge man mit der Stadtkirche St. Nikolai in Bodenwerder über eine hervorragende Alternative. Dorthin wurde das Kantorei-Konzert am zweiten Advent verlegt, in St. Nikolai würden wohl auch die Oster-Gottesdienste und die Konfirmation 2026 stattfinden. Auch die Kirchhöfer orientieren sich um und feiern ihre Mantelweihnacht am Heiligabend diesmal am Dionysiusturm.
„Wie lange es auch dauern wird — wir freuen uns auf jeden Fall, dass wir mit einer topsanierten Kirche in die Zukunft gehen“, so Andreas Säger. Vor etwa 15 Jahren war die Westfassade, vor etwa zehn Jahren die Südfassade aufwändig instandgesetzt worden. Eine große Herausforderung werde es sein, die so geschichtsträchtige und kunsthistorisch bedeutsame Pilger- und Konzertkirche Kemnade auch künftig mit Leben zu füllen.
Sabine Weiße